44_140_normal

Distanz und Nähe

Ausstellung vom 07.09. – 24.11.1996

Kirche am Hohenzollernplatz, Nassauische Strasse 66/67, 10717 Berlin

„Distanz und Nähe“- unter dieses Motto ist die Ausstellung von Eva Koethen gestellt. Wir erleben es bereits in diesem Raum. Bemalte Bildtafeln mit Objekten versehen liegen im Eingangsbereich am Boden, lugen hinter den Säulen des Seiteneingangs hervor und halten nicht nur die Wände besetzt sondern den Kirchraum in Schach. Es entsteht ein Spiel zwischen Bank und Boden, zwischen Weg und Blockade, zwischen Hinten und Vorn, zwischen Mensch und Kunstobjekt und, nicht zuletzt, zwischen Kunst und Kunst – Koethen versus Freyer, Koethen versus Hahn, Koethen versus Höger.

Wir haben nun heute so etwas wie eine erste Retrospektive auf die Arbeiten aus einem Dutzend Jahren. Und das mag uns helfen, den Prozeß der Erarbeitung von Fragestellungen mit der Künstlerin mitzugehen.
Malen ist für Eva Koethen Handeln. Vielleicht machen wir als Betrachter uns diese Hand-Werks-bezogene Seite gar nicht klar, die Körperlichkeit dieses Handelns. Zwischen die Leinwand und die malende Hand schaltet sich ein Objekt ein.
Schon in den frühen Arbeiten mit ihren in gegenstandslosen, vielschichtigen aber nicht stereometrisch verrechenbaren Räumen und ihren darin sich entfaltenden leuchtenden, aber doch kühlen Farbflächen und Farbsegeln war das Objekt ein ruhender Pol, ja vielleicht selbst Kristallisationskern, Indiz auch alltagsweltlicher Nähe. Dann kamen die Chips. Als Energieträger komprimiertester Art sind sie Ausweise einer eher ins Unanschauliche spielenden technologischen Dingabstraktion. In ihnen ist das Objekt selber verfremdet. Im Foto kehrt dann das Objekt in einer ästhetisch vermittelten Form zurück. Die späteren Fundstücke gehen einerseits auf unmittelbar aus dem Alltagsleben gewonnene Gegenstände zurück, andererseits tragen diese selber das Stigma der Leere, des Verbrauchtseins, oder anders gesehen: der Erwartung an sich. Ich meine, daß die frühe japanische Begegnung, auch eine erste Kenntnisnahme von Zen, Eva Koethens Kunst mitgeprägt habe. Die japanische Kultur lehrt sie, anders als wir es zu denken gewohnt sind, als wären vita contemplativa und vita activa zwei verschiedene Haltungen, daß Kontemplation und Aktion immer Pole bleiben: „Nur im Übergang ist es zu finden…“ (Motto zum Katalog 1991).
„Warum ergreifen, was sich erst zeigen möchte?“ Zeit muß gewährt werden dem Zusammenkommen: des Objekts mit seiner offenen Gefügtheit, des Nichts der Leinwand, des Ich der kontemplierenden Künstlerin, der Hand, die zum Malen bereit ist. Das geht nicht ohne „Stocken“: „Wenn ich nicht mehr im Malen stehe, wenn ich das Tun nicht mehr liebe, wenn ich aus der Bewegung falle, das Material übersehe, mit den Pigmenten nur hantiere“ – so bekennt die Künstlerin – dann „stockt es“. Denn, andererseits gilt: „Jeder Handgriff sei ein Fest, gefeiert gegen die Ökonomie der Berechnung, die geradeaus zu nichts hin führt“ – sei „Feier der Umstände, die in ihrem Raum der Beiläufigkeit umständehalber wachsen lassen“. Feiern wir diese Um Stände hier. Und lassen wir es wachsen – in Distanz und Nähe.
(Auszüge aus der Eröffnungsrede von Manfred Richter, Kunstdienst im Berliner Dom)